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Forschungsrelevanz

Die Protokolle der Bundestagsfraktionen von 1949 über das Ende der »alten« Bundesrepublik 1990 bis in die »Berliner Republik« 2005 sind als Ensemble eine herausragende Quelle der Parlamentarismus- und Parteiengeschichte. In ihrer zeitlichen Spannweite dokumentieren sie in parteipolitisch differenzierter Binnensicht auf einzigartige Weise die Funktionsweise eines modernen Parlaments mit seinen thematischen Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen. Mit der Online-Veröffentlichung wird für Historikerinnen und Historiker, Politik- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eine unverzichtbare empirische Basis für eine Vielzahl wissenschaftlicher Fragestellungen zur Verfügung gestellt. Zugleich erfüllt die Gesamtedition auch pädagogische Zwecke, indem sie einen Beitrag leistet zum grundlegenden Verständnis der Demokratie in Deutschland bis in die heutige Zeit sowie zur Transparenz politischer Entscheidungsprozesse.

Es bietet sich auf der Materialgrundlage nachgerade an, in Quer- und Längsschnitten Forschungsfelder zur Geschichte der Bundesrepublik – und damit verbunden der europäischen Geschichte – neu zu beleuchten. Die Fraktionen sind, vor allem mit Blick auf die Widerspiegelung gesellschaftlicher Interessen und auf die Mechanismen intra- und interfraktioneller Konsensbildung und Konfliktbewältigung, Indikatoren und Resonanzraum des sozialen Wandels und der Veränderung der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland.

Von zentraler Bedeutung sind die Fraktionssitzungsprotokolle für die Erforschung des Deutschen Bundestages als Institution im politischen Mehrebenensystem der Bundesrepublik. Im arbeitsteilig organisierten Bundestag laufen viele Fäden in den Fraktionen als entscheidende Handlungsinstanzen zusammen. Die Fraktionen wiederum unterhalten vielfältige Beziehungen zur politischen Akteuren und Institutionen auf Bundes- und Länderebene. Die Quellen veranschaulichen sowohl die parlamentarische Alltagspraxis als auch außergewöhnliche politische Vorgänge. Für eine Einschätzung des Bundestages als Machtfaktor ist die Frage nach Einfluss und Eigenständigkeit der Regierungsfraktionen wie auch der Oppositionsfraktionen essentiell.

Für die Erforschung der parlamentarischen Kultur sind die für die CDU/CSU- und SPD-Fraktion vorliegenden ausführlichen Wortprotokolle bzw. Tonbandtranskripte besonders aussagekräftig. In ihrer weitgehend unverfälschten Unmittelbarkeit eröffnen sie Zugänge zur Beurteilung der Performanz und Selbstwahrnehmung der politischen Akteure sowie Politikinszenierung, Rollenerwartungen und Kommunikationsformen in Interaktion mit Medien und Öffentlichkeit. Zudem lässt sich an diesen Protokollen – besser als etwa anhand der geglätteten Bundestagsplenarprotokolle – der Wandel der politischen Sprache ablesen, was auch der Sprachwissenschaft ein lohnendes Arbeitsfeld eröffnet. Durch die Kodierung sämtlicher Dokumente im menschen- wie maschinenlesbaren TEI-XML-Format und der Bereitstellung aller Forschungsdaten auf Github und Zenodo ist eine langfristige und breite inter- und transdisziplinäre Nachnutzbarkeit gewährleistet.

Nicht zuletzt bieten die Dokumente eine Fülle von Ansatzpunkten für biographische bzw. prosopographische Studien. Durch die eindeutige Identifizierung aller in den Protokollen vorkommenden Personen(namen) und der ihrer Verknüpfung mit Normdaten geraten die »einfachen« Abgeordneten hier ebenso in den Blick wie die fraktionelle Führungselite, Experten, Interessenvertreter oder politische Abweichler. Die Edition bietet eine gute Basis für gruppenspezifische Porträts, Generationen- oder Geschlechterprofile.

Erkenntnisgewinne werden durch die technischen Möglichkeiten der Online-Präsentation erleichtert. Der unkomplizierte und jederzeit mögliche Zugriff auf die Webseite trägt per se zu einer erheblich verbesserten Nutzung der Fraktionsprotokolle als historische Quelle bei. Die gegliederte Auswahl und vor allem die differenzierte Durchsuchbarkeit der Dokumente bieten einen beträchtlichen Zugewinn an Anwendungs- und Analysekapazitäten. Hingewiesen sei beispielsweise auf die Variante der tagesgenauen Parallelisierung von Sitzungsprotokollen, wodurch – man denke etwa an das Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt im April 1972 – die verschiedenen Perspektiven in den Fraktionen und der CSU-Landesgruppe deutlich wahrzunehmen sind.

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